Vorbemerkung: Meinem jüngst hierorts gefasste
n Vorsatz (nämlich meine Beiträge nicht allzu sehr „ausufern zu lassen“ – mich also kurz zu fassen –) letztendlich zuwiderhandelnd, bitte ich um Nachsicht für die nachfolgende Einlassung!
Um sich den zweifellos dürftigen „Status quo“ erklären zu können, müsste man in eine allgemeinere Bildungsdebatte einschwenken. Zu "meiner" Zeit wurden einem in der vierten Volksschulklasse noch die unterschiedlichen Funktionen von erstem und zweite
m Konjunktiv vermittelt, und es wurde auf die Unterscheidung von „wie“/„als“, von „das Gleiche“ / „dasselbe“ oder von „zahlen“/„bezahlen“ Wert gelegt. Heutzutage sind diese Unterscheidungen manchem Maturanten nur unter Aufbietung aller pädagogischen/didaktischen Anstrengungen klarzumachen – und diese Bemühungen bleiben dann oft genug wirkungslos ...
Zum Teil mögen die Ursachen dieser Probleme/Defizite darin liegen, dass in unserer zunehmend knallig-optisch vermittelten Welt das Sensorium für Sprache/Schrift langsam verkümmert. Zum Teil hat’s auch etwas mit der „Explosion“ der Lehrstoffe zu tun, wodurch die Vermittlung der Grundkompetenzen wie Schreiben und Lesen anteilig ins Hintertreffen gerät. Zum Teil hat’s gewiss auch da und dort auch etwas mit „einschlägigen Defiziten“ beim pädagogischen Personal zu tun, das ja selbst wieder nur noch sehr halbherzig geschult wurde/wird. Und nicht zuletzt entfalten auch die Anglizismen (und die damit verbundenen Getrenntschreibungen) ihre „segensreiche Wirkung“. Anm.: Ich zähle mich selbst sicher nicht zu den „deutschtümelnden Sprachreinhaltern“. Eine lebende Sprache ist naturgemäß an allen Ecken und Enden in einem fort in Bewegung und im Umbruch – erst recht im sogenannten „Zeitalter der Globalisierung“. Aber wenn im Zuge von „Neuschreibungen“ grammatikalische/syntaktische Aspekte und Sinnzusammenhänge nivelliert oder geradezu auf den Kopf gestellt werden, bläht sich mir der Hals ...
Ich für meinen Teil kann für mein näheres berufliches Umfeld (Zeitschriften- und Zeitungsverlage) über die letzen zehn, zwanzig Jahre ganz klar eine Verkümmerung der sprachlichen Kompetenzen feststellen – und dies nicht nur im („Spezial“-)Bereich der Rechtschreibung, sondern ganz generell auch bei Grammatik, Satz- und Textsyntax, Wortschatz/Wortwahl/Semantik. Vor zwanzig, dreißig Jahren gab es an den universitären Journalistenkollegs halt noch so Figuren wie Thomas Chorherr (Ex-„Presse“-Herausgeber und -Chefredakteur), der gleich zu Beginn der Vorlesung klarstellte: „Meine Aufgabe hier ist es nicht, Ihnen das
Schreiben beizubringen – wer da noch nicht sattelfest ist, ist in meinem Praktikum und generell im Journalistenberuf fehl am Platz. Meine Aufgabe wird es vielmehr sein, Ihnen das
journalistische Schreiben zu vermitteln.“ Heute „dozieren“ an Chorherrs Platz Figuren, der
en „Wirken“ ich aus nächster Nähe noch aus ihrer Zeit als Journalisten erleben durfte und die schon seinerzeit kaum einen brauchbaren, geraden Satz zuwege brachten. Wie es „so weit“ kommen konnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es hat wohl sicher auch etwas mit dem zunehmend wirkmächtigen Primat des Optischen, der grafischen Gestaltung und der „Aufmachung“ zu tun.
Und damit verbunden ist natürlich auch das Problem der Getrennt-/Bindestrich-/Zusammenschreibung: So kann man z. B. auf Magazincovers das einfache Wort „Weltkrise“ (aus Platzgründen zweizeilig umbrochen) so lesen:
Welt
Krise
alternativ auch in Versalien (vulgo "Blockbuchstaben"):
WELT
KRISE
Zur Not auch so:
Welt-
Krise
Seltenst aber so:
Welt-
krise
Das hat (wie ich aus eigener Anschauung weiß) damit zu tun, dass Chefredakteure vor „Wunderwuzzi“-Artdirektoren und -Layoutern (oftmals regelrechte Analphabeten!) geradezu „knien“ und kritiklos deren „(typo-)grafisch argumentierten“ Schwachsinn nachbeten: „Das Wort ,Weltkrise‘ ist für einen Titel / ein Cover zu lang – das ,derliest‘ niemand! Wir werden dieses Wort auf zwei Zeilen umbrechen. Die zweite Zeile mit einem Kleinbuchstaben beginnen? Sicher nicht – ist ja schiach! Am Ende einer Titelzeile ein Bindestrich? Hässlich, dieses ,Stricherlklumpert‘ – weg damit!“ Ergo:
WELT
KRISE
„Argumentatorisch unterfüttert“ wird dieser Unfug natürlich (wie von einigen Vorpostern bereits ausgeführt) durch jene zweifellos gewaltig misslungene „Zwei Schritte nach vor, einen zurück“-Rechtschreibreform-Reform. Beispiele gefällig? Im aktuellen, unglaublich schlampig gearbeiteten „Duden“ (24. Auflage) finden sich nicht nur unzählige Fehler (z. B. „mit jemandem per du sein“: unter „du“ > Empfehlung „per du“, aber unter „per“ > Empfehlung „per Du“), sondern auch „Empfehlungen“, die auch den sprachsensitivsten, willigsten Schreiber ratlos zurücklassen: „Strom sparend“, aber „energiesparend“; „hoch qualifiziert“, aber „hochbegabt“; „klein mahlen“ (empfohlen), nicht aber „klein mahlen“ (sic!!! Kein Fehler von mir!).
Und so kommt es halt, dass auch ältere, bis zur Rechtschreibreform noch halbwegs sattelfeste Semester – im Bestreben, im (Un-)Sinne der Getrenntschreibung nur ja keinen Fehler zu machen – „in vorauseilender Getrenntschreibung“ den größten Unsinn hinschreiben: „unsinniger Weise“ (statt „unsinnigerweise“), „bei heizen“ (statt „beiheizen“), „Heiz Lok“ (statt „Heizlok“), „ein nimmer Satt“ (statt „ein Nimmersatt“), „lebend Gewicht“ (statt „Lebendgewicht“), „jmdm. den Gar ausmachen“ (statt „den Garaus machen“) etc. etc. etc. (Natürlich findet man auch sinnentstellende Zusammenschreibungen wie "Vorort-Recherche" statt korrekt "Vor-Ort-Recherche", "zurzeit Gölsdorfs" statt "zur Zeit Gölsdorfs" oder "Schmalspur-Modellforum" statt "Schmalspur-Modell-Forum"/"Schmalspurmodell-Forum"
).
Will ich mich von diesem „Augen- und Kopfkrankheiten Vorschub leistenden“ Unsinn erholen, lese ich ein wenig in alten Lehrwerken der Dampfloktechnik (Niederstraßer: „Leitfaden ...“; Hallmann: „Der Lokheizer“; Schwarze, Wilke et al.: „Die Dampflokomotive“, Brosius, Koch: „Lokomotivführer“) – alles einstige, fünfzig bis hundert Jahre alte Schulungsunterlagen, die sich sicher nicht an sprachvirtuose Superintellektuelle richteten. Darin finde ich zu meiner „Erbauung“ und der meiner Augen so schöne lange, von jedem Bindestrich „unversehrte“ Wörter wie Achslagergleitplatte, Bremsabschlussstellung, Doppelrückschlagventil, Fachwerkdrehgestell, Gleichstromdampfmaschine, Hauptluftbehälterleitung, Hochdruckschmierpumpe, Kesselspeiseverbundpumpe, Kolbenstangentragbuchse, Quecksilberfernthermometer, Radreifennässeinrichtung, Rauchkammerspritzrohr, Speisewasserkolbenpumpe oder Wasserstandsanzeigeeinrichtung ... Kindisch-boshafterweise möchte ich fast dafür plädieren, dass Journalisten-Azubis als erstes "Referenzwerk" einmal ein fünfzig Jahre altes technisches Lehrbuch durchackern sollten
(übrigens: Die oben angeführten Werke sind zudem durchwegs sehr gut bis hervorragend korrekturgelesen ...).
Gruß, k.
Edit: kleinere Ergänzungen und Fehlerkorrekturen.